Vorgeschichte. Welche Fahrzeugkategorie? Marktanalyse. Die Bewerber. Die Auswahl: Zuverlässigkeit, Sicherheit, Wirtschaftlichkeit, Koffer- und Laderaum, Ausstattung, praktische Details, Ausmaße, Wendekreis, Design, Eindruck und Markenimage. Vorgeschichte
März 2000: Die Familie ist nun auf vier Mitglieder angewachsen. Mein braver Corsa 1,5 TD (den ich mir Anno 1995 noch als Single gekauft hatte …) ist nun wirklich und endgültig zu klein geworden. Der Kofferaum des Corsa ist allein mit dem Kinderwagen im Prinzip schon voll - und man braucht ja noch so einige Kleinigkeiten wenn man mit zwei Kindern unterwegs ist, besonders wenn man über Nacht weg bleibt. Wir haben keine Verwandten am Ort. Unsere Familien sind in Entfernungen zwischen 120 KM und 630 KM über halb Deutschland (bald auch die Schweiz) verteilt. Da ist man schon öfter mal unterwegs …
Kurz: Ein größerer Wagen muss her, zumal am Corsa mit seinen knapp 100.000 km bald die ersten "Zipperlein" zu erwarten sind.
Aber welcher Wagen soll es nun sein? Neu oder gebraucht? Was sagt die Familienkasse?
Nach längerer Überlegung und Diskussion mit meiner Frau entschieden wir, unseren Corsa im Frühjahr 2001 zu verkaufen und einen Neuwagen statt eines Gebrauchten anzuschaffen. Bedingung: Dieses Auto soll dann mindestens 6 Jahre im "Familenbesitz" bleiben.
Der Auswahl- und Entscheidungsprozess dauerte insgesamt knapp neun Monate - der längste, den ich je in ein neues Auto investiert hatte.
Welche Fahrzeugkategorie?
Wir leben am Stadtrand von München. Der Wagen muss jeden Tag in einen engen, verwinkelten Tiefgaragenstellplatz beim Haus hinein- und hinausbugsiert werden. In der City sind Parklücken ebenfalls knapp bemessen und grundsätzlich rar - wenn man einen gefunden hat, muss das Einparken zudem noch "zackig" ablaufen (lang rangieren lassen die einen da nicht …).
Ein langes Auto, wie etwa ein Passat oder Vectra Kombi, wäre hier eine tägliche Plage - und mein persönlicher Alptraum.
Lösung: Ein Kompakt-Van!
Mit dem Scenic hat Renault schon vor einigen Jahren eine neue Fahrzeugkategorie geschaffen, den Kompakt-Van. Wesentliche Eigenschaften dieser Kategorie sind:
- vom Konzept her Familienautos mit kompakten Abmessungen (außen klein, innen groß)
- viele Stauräume und Ablagen
- variable Bestuhlung (meist mit einzeln herausnehmbaren Rücksitzen)
… also genau das was wir brauchen!
Marktanalyse
Diesmal war ich von vornherein offen was die Marke angeht (mit meinem letzten Opel-Händler und seiner Werkstatt war ich nur bedingt zufrieden).
Die Recherche zur Marktanalyse wurde im Wesentlichen über das Internet durchgeführt. Neben den Produktvorstellungen der jeweiligen Hersteller wurden auch im Internet veröffentlichte Testberichte aus Deutschland, Österreich und der Schweiz einbezogen.
Von den ernsthaft infrage kommenden Kandidaten habe ich dann - ebenfalls über Internet - die Prospekte angefordert. Ebenso die Adressen/Telefonnummern der Händler im Umkreis.
Für die endgültige Entscheidung lieferte dann noch die Pannenstatistik und der Autokatalog (Betriebskosten usw.) auf den Webseiten des ADAC wesentlichen Input (Zugang leider nur für ADAC Mitglieder).
Die Bewerber
Der Markt bietet demnach im Frühjahr 2001 folgende Kompakt-Vans an:
- Renault Scenic (das Original, kleinster im Feld)
- Opel Zafira (7-Sitzer, längster im Feld)
- Mazda Premacy
- Citroën Xsara Picasso
- Mitsubishi Space Runner
- Fiat Multipla (6-Sitzer, breitester im Feld, kleinster Kofferraum)
- Nissan Almera Tino
Renault, Opel, Mazda und der Nissan kamen in die Endausscheidung. Diese Autos habe ich mir live angesehen/probegefahren.
Die Auswahl
Da unsere Familie die Sollstärke bereits erreicht hat, genügt uns ein 5-Sitzer vollauf. Dieses Kriterium wird von allen Kandidaten erfüllt. Das zusätzliche Platzangebot von Zafira und Multipla sind für uns also nur von theoretischer Bedeutung zumal dies mit größeren äußeren Abmessungen (Nachteil!) erkauft werden muss.
Die Anforderungen die wir konkret an unseren neuen Wagen stellen sind (in dieser Reihenfolge und mit absteigender Wichtigkeit; 1, 2a und 2b sind KO-Kriterien. Wer hier schlecht wegkommt ist draussen!):
- 1) Zuverlässigkeit
- 2a) Sicherheit
- 2b) Wirtschaftlichkeit (Preis/Leistung, Betriebskosten)
- 3) ausreichender Koffer- und Laderaum, Ausstattung und praktische Details
- 4) Ausmaße, Wendekreis
- 5) Design, Eindruck und Markenimage
Ganz ehrlich: Diese Kriterien und die Reihenfolge ihrer Gewichtung standen so nicht von vornherein fest! Sie haben sich vielmehr durch langes Vergleichen und Abwägen nach und nach entwickelt. Am Ende erschienen die Bewertungskriterien jedoch sonnenklar - und führten klar zu einem Ergebnis:
NISSAN ALMERA TINO 2.2 DIESEL
Im nachhinein betrachtet war diese Wahl eine Liebe auf den dritten Blick: Anfangs bewertet man speziell Design/Eindruck subjektiv höher. Der Tino hat in der Gestaltung der Frontpartie und des Innenraums noch "Entwicklungspotential". Es gibt wirklich elegantere Autos.
Hier die Begründung warum er am Ende doch gewonnen hat:
Das Wichtigste: Zuverlässigkeit!
Die meist ausschlaggebende Randbedingung war, dass ich das Auto sechs (oder mehr) Jahre lang fahren will. Damit bekommt besonders der zu erwartenden Langzeit-Zuverlässigkeit besondere Bedeutung zu.
Zudem habe ich keine Zeit, mich um mein Auto besonders zu kümmern - kurz: ich brauche ein Auto, das einfach jeden Tag fährt, und das mindestens sechs Jahre lang.
Unser Favorit war lange Zeit der Renault Scenic. Ein Blick in die ADAC-Pannenstatistik zeigt, dass Renault in allen Fahrzeugklassen an einem Ende der Tabelle steht (ganz unten!) und der Nissan Almera in der Mittelklasse am anderen Ende (ganz oben!). Da liegen WELTEN dazwischen!
Auch wenn Renault behauptet, hier viel in den letzten Jahren getan zu haben - Beweise dafür stehen noch aus (erste Ergebnisse frühestens in der nächsten ADAC Pannenstatistik im Mai 2002). Von dieser Ausgangsbasis aus darf Renault aber froh sein, wenigstens einen Platz im Mittelfeld zu erreichen.
Dieser Eindruck wird durch einige Erfahrungsberichte mit Renaults aus meinem Bekanntenkreis bestätigt (Tenor: "Nie mehr Renault!"). Sehr schade, aber das ist das Aus für den Renault!
Nissan und Mazda geben von Haus aus 3 Jahre Garantie auf alle Neuwagen. Zusammen mit der guten Platzierung dieser Marken in der Pannenstatistik ist dies für mich das überzeugendste Argument für die Zuverlässigkeit dieser Fahrzeuge.
Auch bei anderen Herstellern kann man zwar die Garantie mit einer Versicherung um 2 Jahre verlängern. Hierbei geht es aber nur darum wer die Kosten im Fall der Fälle trägt. Das Auto selbst wird dadurch nicht zuverlässiger (übrigens, auch bei Nissan kann man so eine Versicherung für das vierte und fünfte Jahr abschließen!).
Darüber hinaus soll auch die (leider wohl unvermeidliche) Jahresinspektion auch bei meiner durchschnittlichen Fahrleistung von 18 Tkm/Jahr im Abstand von mindestens 12 Monaten und nicht weniger erforderlich sein.
Der Almera Diesel hat einen Ölwechsel-Intervall von 20TKM oder 12 Monate und benötigt alle 40TKM eine große Inspektion. Das sind zusammen hervorragende Werte, die zudem am höchsten gewichtet werden.
Fazit: Aus für den Renault, klarer Sieger nach Punkten: Der Tino
Sicherheit und Wirtschaftlichkeit
Beide Punkte werden gleich hoch gewichtet.
Sicherheit
Sicherheit ist heute für alle Fahrzeugtypen ein Thema. Für einen Familienvan zählt dieser Aspekt nochmal doppelt.
Nach NCAP-Crash-Test ist der Almera Tino derzeit der sicherste Kompakt-Van, dicht gefolgt vom Renault Scenic. - Da bleiben keine Fragen mehr offen.
Schlusslicht der getesteten Modelle nach NCAP ist derzeit der Mazda Premacy.
Nebenbei: Schon nach wenigen Metern sind mir bei der ersten Probefahrt mit dem Tino die Bremsen aufgefallen - die ziehen wie Gift! Verschiedene Testberichte bestätigen diesen Eindruck auch.
Fazit: Der Premacy ist hier mit dem Crash-Test zum Opfer gefallen. Klarer Sieger nach Punkten: Der Tino.
Wirtschaftlichkeit
Das Diktat der Haushaltskasse: Wie viel Auto bekommen wir für’s Geld? Ab hier sind eigentlich nur noch der Zafira und der Tino ernsthaft im Rennen. Bei vergleichbarer Ausstattung/Motorisierung inklusive abnehmbarer Anhängerkupplung ist der Tino nach Liste um etliche Tausend DM günstiger - Viel Geld für eine Familie!
Nach ADAC liegen die monatlichen Gesamtbetriebskosten (also Versicherung, Steuer, Sprit, Werkstatt, Wertverlust usw.) der beiden Fahrzeuge nah beieinander: 940 DM für den Tino und 972 DM für den Opel.
ABER: Der Opel hat bei praktisch identischem Leergewicht den schwächeren Motor und dabei einen höheren Spritverbrauch. Zudem ist die Anhängelast mit 1050 kg eher knapp bemessen (dazu später noch mehr).
Fazit: Kein KO für den Opel, aber klarer Sieger nach Punkten: der Tino.
Ausreichender Lade- und Innenraum, Ausstattung und Details
Bis auf den Multipla haben alle Autos ein für uns ausreichendes Kofferraumvolumen. Hier kommt es nun auf die Details an. Großer Vorteil des Zafira im Vergleich zum Tino: "glatte" Ladekante, durchgehend breiter Laderaum. Der Laderaum des Tino ist dagegen "zerklüftet", da die Federbeine vergleichsweise weit in den Laderaum hineinragen (das ist der Tribut an das ausgezeichnete Fahrwerk - dazu später mehr).
Laderaumvolumen:
Als 5-Sitzer: |
Tino: 440 l |
Zafira: 600 l |
Maximal: |
Tino: 1950 l |
Zafira: 1700 l |
Kaum zu Glauben aber wahr: Der Tino schluckt insgesamt mehr, als der um ein ganzes Stück längere Zafira - der Grund liegt in den ausgebauten Rücksitzen, beim Zafira bleibt die Rückbank im Wagen. Aber Achtung: Dies ist ein eher theoretischer Wert! In der Praxis ist die Nutzbarkeit des Laderaums von der verfügbaren Länge und Breite des Laderaums abhängig. So gesehen geht dieser Vergleich trotzdem zu Gunsten des Zafira aus.
Auf den Sitzplätzen hat man im Tino subjektiv den Eindruck des größten Innenraumes aller Kandidaten. Besonders deutlich wurde uns das im direkten Vergleich zum Zafira.
Tino und Zafira haben wir unmittelbar hintereinander "probegesessen" (im Abstand von etwa einer halben Stunde). Der nur 1,6 cm schmälere Zafira hinterließ hier den Eindruck eines wesentlich kleineren Autos.
Bei allen weiteren Details ist der Tino durch seine piffigen Lösungen dann dem Opel haushoch überlegen: Der Innenraum bietet zum Beispiel insgesamt 20 verschiedene Ablagen und 24(!) Bestuhlungsvarianten. Besondere Highlights der Innenausstattung sind Befestigungspunkte und -Netze im Kofferraum, Leselampen, Tischchen und "Geheimfächer" für die Kinder usw (Diese werde ich an anderer Stelle im Detail und im Gebrauch vorstellen).
Fazit: Der Multipla scheidet wegen zu kleinem Kofferraum aus. Klarer Sieger nach Punkten: der Tino.
Ausmaße, Wendekreis
Keine Frage: in unserer Umgebung ist jeder Zentimeter mehr in den äußeren Abmessungen ein Minuspunkt!
Hier gewinnt automatisch das kleinste Auto. Spitzenreiter wäre in dieser Disziplin der Renault Scenic als kompaktester Mini-Van. Zweiter wäre der Mazda Premacy mit seinem überraschend kleinen Wendekreis.
Der Tino liegt mit den äußeren Abmessungen im hinteren Drittel: Mit 1,758 m ist er der breiteste Wagen in der näheren Auswahl (1,6 cm breiter als der Zafira) aber mit 4,264 m Länge nach dem Scenic der kürzeste Wagen.
Beim Wendekreis sieht’s für den Tino nicht so gut aus: Mit 11,4 (Wand zu Wand, nicht verwechseln mit dem Spurkreis!) liefert er hier den schlechtesten Wert der 4 engeren Kandidaten.
Bei meinen zwei Probefahrten mit Tinos bin ich daher jeweils mit den Autos in unsere Tiefgarage gefahren. Der Wendekreis erwies sich als gerade noch akzeptabel.
Fazit: Sieger nach Punkten wäre der Renault gewesen. Der Tino liegt hier insgesamt mit dem Zafira etwa gleich auf.
Design, Eindruck und Markenimage
Das äußere Design des Tino ist bis auf die Frontpartie eigentlich gelungen. Sein größtes Manko sind die Materialien der Innenraumgestaltung, dabei speziell die verfügbaren Polsterstoffe. In der mittleren Ausstattung Comfort gibt es sage und schreibe zwei Polstervarianten: unifarbenes Hellgrau oder Gelb-Beiges Velours. Letzteres ist zusammen mit den dazu gehörenden gelben Kunststoffverkleidungen im Cockpit je nach Geschmack "avantgardistisch" oder schlicht eine Beleidigung für’s Auge (in einem Testbericht habe ich gelesen, diese Kombination wäre "überraschend").
Beide Velourstoffe machen den Eindruck, als ob sie Schmutz geradezu magisch anziehen würden. In der besten Ausstattungsvariante Elegance gibt es nur noch einen gemusterten grünen Polsterstoff. Dieser macht zwar einen alltagstauglich strapazierfähigen Eindruck, dafür ist diese Ausstattungsvariante aber nur mit einer sehr begrenzten Auswahl an Lackierungen zu haben - Die eben, die zu grünen Polstern passen und das sind nicht so viele.
Die Gestaltung der Instrumente mit dem großen, mit silbernem Kunststoffring eingefassten Tacho in der Mitte ist zwar gefällig, aber auch erst mal gewöhnungsbedürftig, wenn man die allgemein üblichen schwarzen Rundinstumente gewohnt ist.
Der gesamte Innenraum wirkt durch die großen Kunststoffflächen im Cockpit und bei den Türverkleidungen irgendwie billig. Die silbernen Plastikknöpfe für Heizung, Klima, Gebläse, Umluft und Heckscheibe unterstreichen das nach meinem Geschmack leider noch. Wären diese Köpfe wirklich aus dem Material, das sie wohl vorgaukeln sollen (Aluminium?), würde dies zusammen mit einem dazu passenden Schaltknauf den ganzen Innenraum deutlich aufwerten. Ich bin sicher, das ganze Auto würde dabei um keine 50 DM teurer werden. Alle Bedienungselemente - auch die Hebel für Licht und Scheibenwischer - machen aber bei Betätigung einen mechanisch sehr soliden Eindruck.
Insgesamt war der optische Eindruck vom Tino ein "na ja".
Vom Markenimage her steht Nissan auch nicht eben für elegante Autos. Eigentlich assoziiert man mit Nissan eher klobige japanische Geländewagen.
Im Gegensatz dazu haben die französischen Marken den Ruf freche und schicke Autos zu bauen.
Fazit: In dieser Kategorie ist der Tino das Schlusslicht hinter allen Mitbewerbern (dieser Punkt wird aber von uns am geringsten gewichtet)!
An dieser Stelle meine Empfehlung an Nissan: Lassen Sie an die Innenraumgestaltung und die "Schnauze" des Tino noch mal einen französischen oder italienischen Schneider ran - danach werden Sie zehnmal so viele Tinos in Deutschland verkaufen können!
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